Ingolstadt (DK) Der 15-jährige Milad aus dem Irak spürt jeden einzelnen Muskel: Seine erste Kletterroute hat ihn gleich bis zur überhängenden Hallendecke geführt und vor allem seine Schultern und Arme ganz schön beansprucht. Als er nach dem Abseilen wieder sicher auf dem Boden der Kletterhalle steht, lässt er sich erst einmal lachend auf den Boden fallen.

Er ist erschöpft und erleichtert – und zugleich auch stolz, dass er es bis ganz nach oben geschafft hat.
Ungefähr 200 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie Milad werden derzeit in Ingolstadt betreut. Darunter sind fünf Mädchen, der Rest 14- bis 17-jährige Jungs. Sie sind ohne Eltern und Familienangehörige in einem für sie völlig fremden Land. Deshalb brauchen sie Schutz und Fürsorge. Diese Herausforderung übernimmt in der Stadt Ingolstadt das Amt für Kinder, Jugend und Familie. Um die tägliche Versorgung kümmern sich mehrere freie Träger der Jugendhilfe.
Stefan Moser, Geschäftsführer beim Stadtjugendring und zugleich Vorsitzender der DAV-Sektion Ringsee, schaut den jugendlichen Flüchtlingen begeistert beim Klettern zu. Sein großes Hauptanliegen ist die in der Herbstvollversammlung des Stadtjugendrings beschlossene „Integration durch Jugendarbeit und Sport“. Moser geht dieses Ziel strukturiert an. „Mein Ziel ist es, dass jeder möglichst vielfältig verschiedene Angebote aus den Bereichen Sport, Kultur und Musik kennenlernen und seine Potenziale dabei entdecken kann. Im besten Fall bleibt er dann irgendwo hängen. Egal wo – Hauptsache er findet irgendwo eine ,Heimat’!“ Wichtig seien vor allem das Gruppen- und Zugehörigkeitsgefühl. Das Klettern sei dabei nur eine von vielen Möglichkeiten. Die ersten Termine mit jeweils zwölf Jugendlichen und je vier Betreuern der Sektion haben bereits stattgefunden, weitere seien für Januar geplant. Der DAV wolle andere Gruppen ermutigen und aufrufen, sich auch zu engagieren.

Silvia Wagner vom DAV-Kletterzentrum organisiert die Schnupperkurse für die jugendlichen Flüchtlinge. Sie ist hocherfreut, dass sich immer genügend ehrenamtliche Trainer und Betreuer finden. Sie achtet bewusst auf die Mischung verschiedener Altersgruppen und Geschlechter, damit die Jugendlichen sich selbst aussuchen können, bei und mit wem sie klettern wollen. Wagner ist begeistert, wie fit die meisten Jugendlichen sind und wie sie ohne Bedenken einfach losklettern. „Die Deutschen sind normalerweise viel zurückhaltender und vorsichtiger. Allerdings merkt man auch gleich, wenn die Jugendlichen starke Trauer oder Aggressionen in sich tragen. Beim Klettern muss man den Kopf loslassen – und das geht dann nur schlecht.“

Der nächste Schritt im DAV-Kletterzentrum ist der Start einer offenen Jugendgruppe ab dem 20. Januar 2016. Die hat Lisa Hils unter ihre Fittiche genommen. Sie freut sich schon auf gemeinsame Aktivitäten mit den jugendlichen Flüchtlingen. Geplant sind verschiedene Ballsportarten, gemeinsame Unternehmungen oder auch gemeinschaftliches Kochen oder Backen – und ab und zu steht natürlich auch Klettern auf dem Programm.

Sechs Träger betreuen in Ingolstadt unbegleitete Jugendliche. Einer davon ist der Verein „Respekt Training“. Dessen Geschäftsführer ist Atila Dikilitas, der zwölf seiner Schützlinge zum Schnupperklettern in die DAV-Halle begleitet und es zu ihrer Freude auch selbst einmal ausprobiert. Der Gewaltpräventionstrainer ist besorgt über Überlegungen der Regierung, die spezielle Unterstützung für unbegleitete minderjährige Jugendliche mit ihrer Volljährigkeit einzustellen. „Das wäre eine Fehlentscheidung! Die bricht einem das Herz!“, so Dikilitas. Die Jugendlichen seien dann gerade einigermaßen angekommen und bräuchten auch weiter Begleitung. Nicht viele Stunden, aber es gäbe immer neue Themen für sie, für die sie jemanden zum Sprechen und Beraten bräuchten, etwa hinsichtlich der Berufsausbildung. Das sieht Stefan Moser genauso. Eine weitergeführte lose Betreuung sei eine „Investition in die Zukunft“ und zwar nicht nur in die der Jugendlichen, sondern auch in unsere.

Milad ist rundum begeistert vom Klettern in der DAV-Kletterhalle. „Ich klettere zum ersten Mal heute, es gefällt mir sehr sehr gut!“, sagt er, dann startet er gleich zur nächsten Runde. Von der Hallendecke aus winkt er seiner Betreuerin Erika Gascho von „Respekt Training“ zu. „Mama Erika, ich bin ganz oben, guck mal!“

Interessierte Verbände, Gruppen oder Sportvereine, die ebenfalls Schnupper- oder Kennenlernangebote für die jugendlichen Flüchtlinge anbieten wollen, können sich direkt an die jeweiligen Träger oder bei Beratungsbedarf auch an Stefan Moser vom Stadtjugendring Ingolstadt wenden: Telefon (0841) 9 35 55 12 oder moser@sjr-in.de.

Von Anne Gülich

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