Das Ingolstädter Safe House kümmert sich um Kinder und Jugendliche in Not
Von Veronika Hartmann
Es ist eine echte Idylle, dieses weitläufige Einfamilienhaus mit riesigem Garten in einem gutbürgerlichen Wohngebiet in Ingolstadt. Im Vorgarten reifen die Tomaten, versteckt hinter dem Anwesen spenden Obstbäume im Sommer Schatten. Die Einrichtung im Inneren des zweigeschossigen Wohnhauses hingegen ist eher spartanisch: Einfache Betten aus einem beliebten nordischen Möbelhaus, ebensolche Schränke. Die Bettwäsche ist bunt. Praktisch aber schlicht, wohnlich aber doch nicht individuell ist das Domizil gestaltet. Und das hat einen Grund. Es handelt sich um das „Safe House“, eine Obhutseinrichtung für Kinder und Jugendliche, die seit März dieses Jahres immer dann die Tür öffnet, wenn alle Stricke gerissen sind.
„Safe House soll cool klingen“, erklärt Atila Dikilitas, der Chef von Respekt Training, dem Träger dieser Jugendeinrichtung und fügt hinzu: „Es ist ja schon schwer genug, wenn man in einer solchen Einrichtung untergebracht wird. Da soll wenigstens das Image positiv sein.” Man mag es sich kaum vorstellen, was dazu führt, dass Jugendliche vor ihren eigenen Familien geschützt werden müssen. „Die Gründe sind sehr unterschiedlich”, weiß eine Mitarbeiterin. „Manchmal sind es die Kinder, die es zuhause nicht mehr aushalten und sich hilfesuchend ans Jugendamt wenden, manchmal kommen die Eltern nicht mehr klar”.
„Oder sie stehen einfach vor der Tür”, fügt Dikilitas hinzu. Aber dann muss er dennoch erst mit der Behörde klären, was geschehen soll. „Aber keine Sorge – wir lassen niemanden einfach so im Regen stehen“, schiebt Dikilitas gleich hinterher.
Als die Einrichtung vorvergangene Woche feierlich eingeweiht wurde, zeigte sich nicht nur die lokale Politprominenz, es kam auch Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer. Sie selber hat früher in der Jugendhilfe gearbeitet und kann eindringlich schildern, wie schwer die Entscheidung fällt, ein Kind „raus” zu nehmen. „Was ist für genau dieses Kind richtig?”, ist die große Frage, denn jeder Fall ist individuell. Heute sind viele ihrer damaligen Zöglinge bereits erwachsen und die Ministerin darf sich über viel positives Feedback für ihre einstigen Entscheidungen freuen.
Fast zwei Jahre hat es gedauert, bis das Projekt Save House, bei dem Atila Dikilitas eng mit den Behörden zusammengearbeitet hat, realisiert werden konnte. Dabei war der Bedarf an den neun weiteren Plätzen, die durch die Eröffnung entstanden sind, groß. Weil sich die Region, über wachsende Geburtenraten freuen darf, müssen auch mehr sichere Plätze dieser Art entstehen, erklärte Oberbürgermeister Christian Lösel anlässlich der Eröffnung. Er betonte außerdem, dass Dikilitas, der auch im Ingolstädter Migrationsrat sitzt, bereits bei früheren Projekten verantwortungsvoll mit der Stadt zusammengearbeitet hat.
Dabei ist das Safe House eine Durchgangsstation: Egal ob ein paar Stunden oder bis zu drei Monate – hier kommen die Hilfesuchenden an, damit in Ruhe entschieden werden kann, wie es weitergehen wird. Einige kommen zurück in ihre Familien, für andere müssen Lösungen gefunden werden, wie sie dauerhaft untergebracht werden können: In Pflegefamilien, im Betreuten Wohnen oder im Heim.
Bis dahin versucht man im Safe House so viel Normalität wie möglich herzustellen: Die Bewohner müssen morgens das Frühstück bereiten, danach geht es für die Schulpflichtigen zur Schule – wer einen zu weiten Weg hätte, muss die Sprengelschule aufsuchen. Eine Stunde am Tag gilt den Hausaufgaben und nach dem Abendessen gibt es sechzig Minuten gemeinsame Reflexion. Da der Betreuungsschlüssel sehr hoch ist, kann man sehr individuell auf die Unterschiede und Bedürfnisse der jungen Menschen eingehen. „Es ist eigentlich wie in der Familie auch”, erklärt die Mitarbeiterin. „Die Jugendlichen übernehmen Aufgaben, halten beispielsweise ihre Zimmer selber sauber”, erklärt sie. „Die Älteren bleiben vielleicht etwas länger auf, das entscheidet man einfach auch situativ”. Dass dieses gesunde Augenmaß gut ankommt, sieht man den Mädchen und Jungen, die dort unterbracht sind, als die Eröffnung gefeiert wird, an. Während allerdings die Reden der Honoratioren auf wenig Interesse bei den Jugendlichen stießen, waren die Häppchen bei den Teenagern begehrter.
So gut es ist zu wissen, dass das Safe House für Kinder und Jugendliche in Not neun weitere Plätze sichert und den Eindruck vermittelt, dass es sich tastsächlich um einen sicheren Ort handelt, so traurig ist die Gewissheit, dass diese tatsächlich benötigt werden. Denn hinter jedem betreuten Jugendlichen steckt eine Geschichte, die nach einem weiteren, traurigen Höhepunkt in das Safe House geführt hat. Vielleicht dem letzten, bevor ein Happy End ein greifbare Nähe rückt.