Wer klug ist, reicht die Hand

„Oyakata“, japanisch für „Meister“, betritt barfuß mit einem weißen Kimono bekleidet den mit Matten ausgelegten Raum. Atila Dikilitas ist Cheftrainer der Kampfsportakademie Oyakata in Ingolstadt und Bundestrainer für Selfdefense, außerdem aber auch staatlich anerkannter Anti-Gewalt-Trainer. Er begrüßt uns, die Klasse 8a mit ihren Lehrkräften Julia Kellner und Stefanie Ullmer, mit einem lauten OZ.

„Wer wurde schon mal gemobbt?“, fragt er in die Runde. Einige Schülerinnen und Schüler melden sich und erzählen erstaunlich offen von Gemeinheiten, die ihnen widerfahren sind. Die anderen hören aufmerksam hin – auch Atila, der auf diese Aussagen die nächsten zwei Trainingsstunden aufbaut. Dabei lautet sein Credo: „Ihr seid eine Einheit. Zusammen seid ihr stark. Die Starken schützen die Schwachen.“

Anschaulich zeigt Atila den Achtklässlern, wie leicht es ist, diese Einheit zu bilden. Zuerst fordert der Meister seine Lehrlinge auf, sich in einer Kette nebeneinander aufzureihen. Einzelne müssen sich nun zwischen zwei ihrer Mitschüler neu einordnen. Die beiden Mitschüler treten geräuschlos zur Seite und machen Platz. Die Eingliederung des neuen Ketten(mit)glieds funktioniert schnell und reibungslos.

Danach geht es sportlich und spielerisch weiter. Zuerst sind die 26 Schülerinnen und Schüler aufgefordert, auf engstem Raum wild durcheinander zu rennen ohne sich anzurempeln; gleiches Spiel dann in Paaren. Oder sie müssen auf Signal den nächststehenden Partner umarmen. Ob das dem ein oder anderen schwerfällt? Doch keiner verweigert sich. Richtig ins Schwitzen geraten die Schüler beim Boxen – erst zu zweit, dann zu dritt. Einer der Schüler, mit einem Schlagpolsterkissen ausgestattet, wird von einem zweiten angegriffen. Der dritte muss versuchen, den Angreifer fernzuhalten.

„Wer als erstes zuschlägt, hat immer unrecht“, sagt Atila, „denn das ist niemals Notwehr.“ Auch nur das Schupsen eines Schülers könne schlimm ausgehen. „Mal abgesehen von gerichtlichen Strafen – der Geschupste könnte so ungünstig fallen, dass er den Rest seines Lebens querschnittsgelähmt sein wird oder gar stirbt. Und für dich bedeutet das: dich den Rest deines Lebens mit einem schlechten Gewissen quälen zu müssen.“
Seine Aufforderung lautet also: „Fühlt ihr euch provoziert, setzt euch mit Worten zu Wehr.“ Die Achtklässler üben in Rollenspielen laut und deutlich ‚Stopp! Ich will das nicht‘ gegenüber ihrem Angreifer zu sagen. Atila gibt ihnen Tricks an die Hand, wie sie sich verteidigen können, ohne körperliche Gewalt anzuwenden. Er fordert Simon auf, ihn anzugreifen. Atila tritt zurück, streckt Simon den Arm entgegen und öffnet die Hand. „So macht ihr eurem Gegenüber ein Gesprächsangebot. Bleibt offen!“ Simon aber bleibt – nach Aufforderung – aggressiv. Atila hebt den Arm auf Augenhöhe, so dass Simon keine Chance hat, Atila körperlich näher zu kommen. Es würde – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Auge gehen. „Denkt nach“, fordert Atila die Schüler auf, „denn der kluge Kopf behält immer Oberwasser.“
Als alle ihre überschüssigen Energien und Aggressionen losgeworden sind, steht zwar die Luft im Raum, aber die Stimmung ist ausgelassen. „Wer klug ist, reicht dem anderen die Hand“, sagt Atila zum Schluss, und jeder gibt jedem die Hand. „Danke. Gut gekämpft“, hört man durch den Raum wabern.

Stefanie Ullmer